Wahlrechtsreform



Wahlrechtsreform

oder

Die Bedeutung der Erststimme


Der Antrag der CDU/CSU Fraktion: „Wahlrechtsreform – Bundestag verkleinern, Bürgerstimme stärken“

 


1. Handlungsbedarf: Der Bundestag muss kleiner werden.

Die Union verfolgt unbedingt das Ziel, den Deutschen Bundestag schnell und signifikant zu verkleinern. Auf keinen Fall dürfen wir mit dem gegenwärtigen Wahlrecht in die nächste Bundestagswahl gehen. Schon im letzten Sommer hatte die Unionsfraktion der Wahlrechtskommission des Deutschen Bundestages einen Vorschlag vorgelegt, mit dem die Zahl der Mitglieder auf ca. 600  Abgeordnete hätte beschränkt werden können. Diesen Vorschlag hat die Ampelkoalition rundheraus abgelehnt.

 

Am Sonntag, 15.01.23,  hatte die Ampelkoalition ihrerseits uns mit Bitte um Vertraulichkeit ihren Vorschlag unterbreitet, der allerdings bereits eine Stunde später in den Medien zu lesen stand. Die Verabredung in der Wahlrechtskommission war eigentlich gewesen, dass wir uns vor Veröffentlichung auf einen gemeinsamen Reformvorschlag einigen.

 

Gleichwohl waren wir für die Vorschläge der Ampelkoalition selbstverständlich offen. Wir konnten aber unsere Hand nicht dazu reichen, das personalisierte Verhältniswahlrecht so auszuhöhlen, dass die Erststimme, mit der die Wähler ihre Kandidatin und ihren Kandidaten direkt wählen, ihre Gültigkeit verliert. 

 

2. Bedeutung der Erststimme

Unser personalisiertes Verhältniswahlrecht kombiniert das Mehrheitswahlrecht (Erststimme) mit dem Verhältniswahlrecht (Zweitstimme). Mit der Erststimme bestimmen die Wähler, dass die Kandidatin oder der Kandidat mit den meisten Stimmen den heimischen Wahlkreis im Bundestag vertreten soll. Die Zweitstimme gilt der Partei und bestimmt, wieviel Prozent der Sitze eine Partei im Bundestag erhält. Mit der Erststimme entscheidet sich der Wähler also für eine konkrete Persönlichkeit, und zwar nicht nur in Ansehung der Parteizugehörigkeit.

 

    …für die Robustheit der Persönlichkeiten im Bundestag

Dementsprechend macht es einen großen Unterschied für das Selbstverständnis eines Abgeordneten, ob er von der Mehrheit der Wähler seines Wahlkreises in den Bundestag entsandt wird oder ob er über die Landesliste seiner Partei einen Sitz erhalten hat. Der und die direkt gewählte Abgeordnete haben einen persönlichen Bezug zu ihrem Wahlkreis, sind vertraut mit den Menschen, den Verhältnissen und den Bedürfnissen vor Ort. Mit der Mehrheit der Wähler im Rücken können sie selbstbewusst gerade gegenüber der eigenen Parteilinie auftreten, um lokale Ziele zu vertreten und auch durchzusetzen.

 

   …für die Repräsentanz der Wahlkreise

Heute ist jeder Wahlkreis im Bundestag durch eine oder einen eigenen Abgeordneten vertreten. Garant für die Repräsentanz aller Regionen ist, dass der Direktkandidat mit den meisten Erststimmen für seinen Wahlkreis in den Bundestag einziehen wird.

 

Der gewählte Wahlkreisabgeordnete ist nicht nur der unmittelbare, lokal vernetzte Ansprechpartner für die Bürger seines Wahlkreises, sondern auch für alle lokalen Organisationen, Institutionen und für die kommunale Familie. Abgeordnete, die über die Landeslisten ihrer Parteien in den Bundestag eingezogen sind, sind häufig nicht einmal in dem Wahlkreis wohnhaft, in dem sie (vergeblich) kandidiert hatten. Ihnen fehlt deshalb zumeist der lokale Bezug.

 

Neue Namen für die Erst- und Zweitstimme

Welchen Wert eine Partei der Erststimme beimisst, kann man an dem Namen ablesen, den sie der Erststimme gibt. Die Ampel spricht ganz technisch-kühl von der Wahlkreisstimme. Wir nennen sie Bürger- oder Heimatstimme, weil mit dieser Stimme der Bürger ganz direkt die Person aus seinem heimischen Wahlkreis wählt, die ihn in Berlin vertreten soll.

 

Was sagt es aus, dass die Ampel die Zweitstimme zur „Hauptstimme“ erklärt?

Die Ampel wertet mit ihrem Reformvorschlag die Zweitstimme gegenüber der Erststimme auf und nennt sie „Hauptstimme“, weil für SPD, Grünen und FDP die Liste der Landespartei mehr gilt als die Direktkandidaten, die sich den Bürgern und Bürgerinnen direkt zur Wahl stellen.


Das ist die Verschiebung vom Wählerwillen hin zum Parteiapparat, die die SPD traditionsgemäß sogar begrüßt.

 


3. Die Vorschläge zur Wahlrechtsreform im Einzelnen

 

1. Der Vorschlag der Ampel – Stärkung der Zweitstimme (Parteiliste)

Der Deutsche Bundestag soll eine feste Größe von 630 Abgeordneten erhalten. Jeder Wähler soll zwei Stimmen haben, eine „Wahlkreisstimme“ für einen Direktkandidaten und eine „Hauptstimme“ für die Landesliste einer Partei. Die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag orientiert sich dabei allein an den abgegebenen „Hauptstimmen“. Überhang- und Ausgleichsmandate werden abgeschafft.

 

Wenn in einem Bundesland über die Erststimme (die Ampel spricht von „Wahlkreisstimme) mehr Direktmandate anfallen als einer Partei nach dem Hauptstimmenergebnis zustehen, werden diese überhängenden Direktmandate „gekappt“. Mit anderen Worten: ein gewonnener Wahlkreis ist noch längst kein gewonnener Wahlkreis. Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach den Zweitstimmen zustehen würde („Überhangmandate“), dann gelten die Wahlkreisbewerber mit den wenigsten Stimmenprozenten als nicht gewählt. Bestimmte Wahlkreismandate werden somit nicht „zugeteilt“. Folglich werden manche Wahlkreise ohne Abgeordneten in Berlin sein, also keine direkte Interessenvertretung im Bundestag haben. Welche Personen tatsächlich in den Deutschen Bundestag einziehen, wird nach dem Willen der Ampel künftig stärker von den Listen der Parteien abhängen als von der Erststimme der Wählerinnen und Wähler.


Das von der Ampel vorgestellte Wahlrechtsmodell stellt somit einen in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Bruch mit dem System der personalisierten Verhältniswahl dar.

 

In dem von der Ampel vorgestellten Modell bleibt es bei 299 Wahlkreisen. Die bereits beschlossene und ab 2024 gültige Reduzierung auf 280 Wahlkreise, die wir in der letzten Legislaturperiode beschlossen hatten, soll rückgängig gemacht werden.

 

2. Position der CDU/ CSU – vollgültiger Erhalt der Erststimme (Direktkandidat)

Wir haben auf verschiedenen Ebenen mit der Ampel über einen möglichen gemeinsamen Weg hin zu einer Wahlrechtsreform verhandelt, welche die Erststimme erhält und die Größe des Deutschen Bundestags signifikant reduziert.

 

Unsere fünf Punkte für einen Kompromiss
Weil die Ampel unseren Vorschlag für ein echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht abgelehnt hat, schlugen wir fünf Punkte für einen möglichen Kompromiss vor:

 

1.    Die Anzahl der Wahlkreise wird um 10% auf 270 reduziert.

2.    Die Regelgröße für Listenmandate wird auf 320 erhöht.

3.    Die Anzahl der unausgeglichenen Überhangmandate wird auf die verfassungsrechtlich zulässige Anzahl erhöht.

4.    Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland werden wie bisher mit Listenmandaten der gleichen Partei in anderen

        Bundesländern verrechnet.

5.    Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 Prozent der im Wahlgebiet

       abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens fünf Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.

 

Mit unseren Vorschlägen hätten wir den Wert der Erststimme, die wir Bürgerstimme nennen, erhalten und sichergestellt, dass jeder Wahlkreis und damit jeder Bürger weiterhin einen Wahlkreisabgeordneten in Berlin hat. Der Deutsche Bundestag wäre dennoch deutlich verkleinert und auf rund 600 Mandate reduziert worden.

 

Mit 270 Wahlkreisen und 320 Mandaten über die Listen der Parteien wäre der Bundestag nach unserem Vorschlag sogar noch unter der Zielgröße der Koalition. Aufgrund unserer Vorschläge wäre die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate nur so klein ausfallen, dass sie kaum ins Gewicht gefallen wäre. Dieses Wahlrecht waren wir bereit in einem großen politischen Konsens schnell im Deutschen Bundestag zu beschließen.

 

Meine Befürchtung hat sich bewahrheitet, dass die Ampelkoalition bei der Wahlrechtsreform überhaupt nicht kompromissbereit ist, sondern ihr Modell beschließt. Als einfaches Bundesrecht reichte ihr dafür die einfache Mehrheit im Bundestag. Die AfD hat ihre Stimmen noch dazugetan.


Damit bleibt uns als Unionsfraktion nur der Weg zum Bundesverfassungsgericht.

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